Voraussetzungen und Anwendungsbereich der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
30.03.2016
Der V. Senat des BFH hat mit mehreren Urteilen vom 2. Dezember 2015 ( vgl. BFH, V R 25/13, V R 15/14 und V R 67/14) – teilweise unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtssachen "Larentia + Minverva" sowie "Marenave" (vgl. EuGH, C-108/14 und C-109/14, jeweils vom 16. Juli 2015)- zu den Voraussetzungen sowie dem Anwendungsbereich der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft Stellung genommen. Insbesondere hat der V. Senat entgegen der bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass auch Personengesellschaften als Organgesellschaften qualifiziert werden können, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft nur der Organträger und andere vom Organträger finanziell beherrschte Gesellschaften sind. Im Nachgang zu den vorbenannten EuGH-Rechtssachen hat zudem der XI. Senat (vgl. BFH, Urteil vom 19. Januar 2016, XI R 38/12) entschieden, dass – unter richtlinienkonformer Auslegung des Begriffs der "juristischen Person" i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG- auch eine GmbH & Co. KG Organgesellschaft sein kann.
Worum geht es? Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft hat eine einheitliche steuerrechtliche Betrachtung von herrschendem Organträger und abhängigen Organgesellschaften zur Folge; allein der Organträger ist für den gesamten Organkreis umsatzsteuerpflichtig. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ist die Voraussetzung einer Organschaft, dass sich eine juristische Person (Organgesellschaft) nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingliedert. Erhebliche praktische Relevanz hat die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nicht zuletzt für diejenigen Unternehmen, die kein Recht zum Vorsteuerabzug haben (u.a. Banken und Versicherungen, vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 UStG). Diesen ermöglicht die Einbindung in eine Organschaft es, Umsätze von einer Organgesellschaft als Innenumsätze zu empfangen und dadurch die Umsatzsteuerbelastung durch die Versagung des Vorsteuerabzugs zu vermeiden, die bei einem Leistungsbezug von einem Dritten eingetreten wäre. Zudem kann das Bestehen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft auch bei Unternehmensübertragungen von praktischer Bedeutung sein.
Als umsatzsteuerrechtliche Organgesellschaften kommen nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nur juristische Personen in Betracht. In den verbundenen Rechtssachen "Larentia + Minerva" sowie "Marenave" hat der EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2015, C-108/14 und C-109/14) nach Vorlage durch den XI. Senat des BFH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens entschieden, dass das Unionsrecht (vgl. insbesondere Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL) den Mitgliedstaaten grundsätzlich keinen dahingehenden Beurteilungsspielraum lässt, Personengesellschaften per se von der Organschaft auszuschließen. Ein solcher Ausschluss könne allerdings damit begründet werden, dass dieser einer Vermeidung von Steuerhinterziehung dient (vgl. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL). Ob der Ausschluss einer Personengesellschaft diesem Ziel dient, sei jedoch von dem jeweiligen nationalen Gericht im Zusammenhang des jeweiligen nationalen Rechtsrahmens zu prüfen. Des Weiteren hat der EuGH in der vorbenannten verbundenen Rechtssache zu dem rechtlichen Erfordernis einer Eingliederung in Form eines Unterordnungsverhältnisses dahingehend Stellung genommen, dass auch ein derartiges Erfordernis nur mit einer Vermeidung von missbräuchlichen Praktiken begründet werden kann, was ebenso nur durch das nationale Gericht unter Betrachtung des nationalen Rechtsrahmens beurteilt werden kann.
Was wurde entschieden? In dem Verfahren V R 25/13 war zwischen dem Kläger und Revisionsbeklagten sowie der Finanzverwaltung strittig, ob eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft auch mit einer (Tochter-)Personengesellschaft möglich ist. Nach nationalem Umsatzsteuerrecht ist dies ausgeschlossen, da § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG gerade nur juristische Personen als mögliche Organgesellschaften zulässt. Nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs.1 MwStSystRL können jedoch alle "Personen, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbunden sind" eine Organschaft begründen. Nach dem Vortrag des Klägers und Revisionsbeklagten unterlagen im Urteilssachverhalt die Leistungen einer GmbH an eine KG nicht der Umsatzbesteuerung, da die GmbH und die KG als Organgesellschaften mit einer AG als Organträgerin eine Organschaft bildeten. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung ließ der V. Senat des BFH nunmehr im Urteilssachverhalt eine Organschaft auch mit (Tochter-)Personengesellschaften zu. Aufgrund unions- sowie verfassungsrechtlicher Vorgaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 2013, 1 BvR 3063/10) war nach Ansicht des V. Senats eine teleologische Extension des Begriffs der „juristische Person“ vorzunehmen. Daher können auch Personengesellschaften unter § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG subsumiert werden, wenn dadurch der Zweck der gesetzlichen Regelung verwirklicht und ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch vermieden wird. Voraussetzung für die Annahme einer Organschaft in diesem Zusammenhang sei daher, dass Gesellschafter der Personengesellschaft nur der Organträger und andere vom Organträger finanziell beherrschte Gesellschaften sind. Denn in diesem Fall kann auch die Beherrschung der (Tochter-) Personengesellschaft durch den Organträger nicht in Frage gestellt werden. Der V. Senat des BFH erweitert damit den bisherigen Anwendungsbereich der Organschaft: Sofern die Personengesellschaft mit sämtlichen Gesellschaftsanteilen finanziell in einer bis zum Organträger reichenden Organkette eingegliedert ist, kann sie in die Organschaft eingebunden werden.
In dem Verfahren V R 15/14 war strittig, ob eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen Schwestergesellschaften möglich ist. Fraglich war, ob im Urteilssachverhalt die GmbH mit der Schwestergesellschaft in Form einer GmbH & Co. KG eine solche Organschaft bilden konnte. Der V. Senat des BFH hat –obgleich das Unionsrecht in Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL nur eine "enge Verbundenheit" vorschreibt – eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung abgelehnt und weiterhin daran festgehalten, dass die Organschaft eine eigene Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Tochtergesellschaft voraussetzt und dass zudem im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Personengesellschaft gegeben sein muss. Nur wenn Durchgriffsrechte bestehen, läge eine solche Eingliederung vor. Die Organgesellschaft müsse durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht werden. Davon ist nach Ansicht des V. Senats nicht auszugehen, wenn lediglich eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist. Nicht ausreichend seien auch Weisungsrechte, Berichtspflichten oder Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung. Eine Organschaft zwischen den Schwestergesellschaften war somit im Urteilssachverhalt nicht gegeben.
Zentraler Streitpunkt des Verfahrens V R 67/14 war die Frage, ob eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft auch mit einem Nichtunternehmer gebildet werden kann; die MwstSysRL sieht ein derartiges Tatbestandsmerkmal einer "Unternehmereigenschaft" nicht vor. Der V. Senat des BFH lehnte die Bildung einer Organschaft mit einem Nichtunternehmer mit Hinweis auf einen möglichen Steuermissbrauch ab. Der nationale Gesetzgeber habe sich gerade bewusst dafür entschieden, dass der Organträger Unternehmer sein muss. Denn die Organschaft diene im Wesentlichen der Verwaltungsvereinfachung und solle auch keine Steuervergünstigungen zulassen. Die Bildung einer Organschaft auch ohne eigene Unternehmerstellung würde eine solche Umgehung des Abzugsverbots jedoch ermöglichen, so dass die Einbeziehung eines Nichtunternehmers in den Anwendungsbereich der Organschaft abzulehnen war.
Im Nachgang zu den verbundenen EuGH-Rechtssachen „Larentia + Minverva“ sowie „Marenave“ hat der XI. Senat (vgl. BFH, Urteil vom 19. Januar 2016, XI R 38/12) entschieden, dass auch eine GmbH & Co. KG eine Organgesellschaft sein kann, obwohl der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur „juristische Personen“ als mögliche Organgesellschaften anführt. Der XI. Senat verzichtet jedoch –im Gegensatz zum V. Senat- auf die Einschränkung, dass dies nur möglich sei, wenn als Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger lediglich solche Personen fungieren, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind; vielmehr belässt es der XI. Senat bei der Feststellung, dass jedenfalls bei kapitalistisch strukturierten Personengesellschaften eine solche richtlinienkonforme Auslegung möglich ist. Dies bedinge nicht nur der Grundsatz der Rechtsformneutralität, sondern ergebe sich zudem auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000 1 BvR 539/96) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2015, 7 C 8.14), welche dieselbe Auslegung in anderem Zusammenhang bereits vorgenommen haben. Da der XI. Senat zwar mit anderer Begründung, aber zum selben Ergebnis wie der V. Senat kommt, lag nach Ansicht des XI. Senats kein Abweichen i.S. des § 11 Abs. 2 FGO von den vorbenannten Entscheidungen vor und ein Anrufen des Großen Senats des BFH somit nicht notwendig.
Empfehlungen? Die Frage nach den Voraussetzungen sowie dem Anwendungsbereich der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft hat in der unternehmerischen Praxis erhebliche -zudem auch strafbewehrte- Bedeutung, denn (unerkannte) Organschaften haben signifikante Auswirkungen auf die umsatzsteuerrechtliche Effizienz von verschiedenen unternehmerischen Prozessen (nicht zuletzt Restrukturierungen, Deklarations- und Abführungspflichten sowie Haftung für Steuerschulden nach § 73 AO). Zudem treten die Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft alleine von Gesetzes wegen und somit gerade unabhängig von subjektiven Merkmalen (Wissen und Wollen) der beteiligten Unternehmen ein; ebenso ist nach aktueller Rechtslage ein Antrag oder ein Grundlagenbescheid über das Vorliegen einer Organschaft nicht erforderlich. Im Wesentlichen hat der BFH in den vorbenannten Urteilen seine bisherige Rechtsprechung bestätigt: Eine Organschaft setzt insbesondere eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft sowie die Unternehmereigenschaft des Organträgers voraus. Im Hinblick auf die nun geänderte Rechtsaufassung zur Eingliederung von (Tochter-) Personengesellschaften in Organschaften, sollten die sich aus den vorbenannten Urteilen neu ergebenden Gestaltungspotenziale sowie etwaige Steuerrisiken im jeweiligen Einzelfall ermittelt werden. Zudem ist auch zeitnah eine Stellungnahme durch die Finanzverwaltung in einem "klarstellenden" BMF-Schreiben zu erwarten. Aus rechtspolitscher Sicht bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Anregung des V. Senats des BFH im Urteil V R 15/14 (siehe dort Rz. 22) aufgreift und ein rechtsicheres Feststellungsverfahren für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft einführt.
Haben Sie noch Fragen? Gern: Kontaktieren Sie die Rechtsanwälte Dietmar Völker und Alena Grin.